Kommerzialisierung der Krankenhausversorgung – eine Klarstellung (2013)

Vorbemerkung: bei diesem kurzen Kommentar handelt es sich um einen bislang unveröffentlichten Text, der eine begriffliche Klarstellung zur „Kommerzialisierung der Krankenhausversorgung“ umfasst. Für weitere Literaturhinweise – auch aus diesem kurzen Kommentar, die nicht in der Literaturliste stehen, verweise ich auf diesen Text eines Forschungspapiers aus dem Jahr 2010, das als Diskussionspapier veröffentlicht wurde.

Es ist erfreulich, dass in den krankenhauspolitischen Diskurs im Umfeld von Gewerkschaften über so grundlegende Fragen wie die Zukunft des deutschen Krankenhaussektors, seine Schwächen, aber auch seine Stärken diskutiert wird. Hierbei habe ich in meinem Beitrag versucht (Mosebach 2013a) zu begründen, weshalb der Erfolg der Privatisierung von Krankenhäusern in Deutschland keinesfalls mit der höheren Effizienz oder betriebswirtschaftlichen Effektivität privatwirtschaftlicher Krankenhäuser erklärt werden kann. Ich habe, mit einem Wort, den nicht nur auf Deutschland beschränken argumentativen Kern des Privatisierungsnarrativs zu dekonstrieren versucht (vulgo: Ideologiekritik).

Insofern überrascht es mich, wenn Michael Wendl in der gleichen Ausgabe einer längeren Version meines Beitrags für die Sozialismus (Mosebach 2013b), aus dem letzterer Diskussionsbeitrag entstanden ist, die Kernthese der Auseinandersetzung mit Privatisierungsprozessen im deutschen Krankenhaussystemen entnimmt, dass ich „nicht nur die Privatisierung der Krankenhäuser“ ablehne, sondern “die mit der Abkehr vom ’Selbstkostendeckungsprinzip’ verbundene Ökonomisierung der Krankenhäuser insgesamt“ Wendl 2013: 54).

Wissenschaftliche Redlichkeit verlangt nun eigentlich, dass man Kernthesen von Diskussionsbeiträgen belegen kann. Ich habe allerdings an keiner Stelle des Beitrags behauptet, dass die Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips der Grundfehler in der deutschen Krankenhauspolitik gewesen ist. Auch die Privatisierung von Krankenhäusern grundsätzlich abzulehnen, wird man in meinem Beitrag nicht finden, wenn auch zugegebenermaßen diese Schlussfolgerung auf der Hand liegt. Wenn es allerdings privatwirtschaftlich geführten Krankenhäusern gelingen sollte, die Versorgung in der Art und Weise produktiver zu organisieren, dass sie einen Gewinn herausholen können, ohne dass die Qualität der Leistungen (das inkludiert eine medizinisch-pflegerisch sinnvolle Arbeitsorganisation und Gestaltung der Arbeitsbedingungen) sich verschlechtert und ohne dass es zu einer Spezialisierung auf besonders lukrative Patienten sowie diagnostische und  therapeutische Verfahren und auch eine medizinisch nicht notwendige Ausweitung von Krankenhausleistungen vermieden wird, wenn ihnen also die Quadratur des Kreises gelingt, bin ich der Letzte, der gegen eine solche Form der Privatisierung wäre. Allerdings dürften solche erwirtschafteten Gewinne auch nicht sektorenfremd angelegt werden, dann wären sie ja für die öffentliche Krankenhausversorgung verloren. Ob es sich unter diesen Bedingungen jedoch noch für privatwirtschaftliche Krankenhausketten lohnen würde (obwohl sie das ja behaupten), in das öffentliche Krankenhaussystem zu investieren, steht auf einem anderen Blatt.

Mein Argument ist etwas komplexer als Michael Wendl hier unterstellt und es hängt wesentlich am Begriff der „Kommerzialisierung“, zu dessen Klärung ich mich veranlasst sehe. Die Behauptung, ich würde die „Ökonomisierung der Krankenhäuser insgesamt“ kritisieren ist nicht richtig, denn die Ökonomisierung der Krankenhäuser ist nicht gleichzusetzen mit der Kommerzialisierung des Krankenhaussektors. Wem das jetzt als Haarspalterei erscheint, überlege mal, wie es in einer kapitalistischen Geldwirtschaft möglich sein soll, öffentliche Dienstleistungen aus Sozialversicherungsbeiträgen bzw. Steuergeldern zu finanzieren, ohne auf die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser (vulgo: Ökonomisierung) zu achten. Das geht natürlich nicht; und das war den Verfechtern des Selbstkostendeckungsprinzips in den 1970ern Jahren auch klar. In jedem Fall bleibt ungeklärt, was Michael Wendl mit „Ökonomisierung“ meint. Wenn er mit Ökonomisierung „das zunehmende Übergewicht des Tauschwerts über den Gebrauchswert“ (Kühn 2004: 32) impliziert, also auf die in der kapitalistischen Marktwirtschaft „innewohnende Tendenz der gesellschaftlichen ‚ Landnahme’ (Lutz) durch die Prinzipien der Kapitalverwertung beziehungsweise des Rentabilitätskalküls, selbst dort, wo kein Kapital verwertet wird“ (ebd.: 29) Bezug nimmt, kommt er dem Kommerzialisierungsbegriff, wie ich ihn nutze, bereits sehr nahe.

Allerdings, und hier geht der Kommerzialisierungsbegriff über den Begriff der Ökonomisierung bei Hagen Kühn hinaus, verweist Kommerzialisierung auf eine bewusste gesundheitspolitische bzw. krankenhauspolitische Strategie, die den Wettbewerbsmechanismus innerhalb eines öffentlichen finanzierten und budgetierten Krankenhaussystems dahingehend nutzen möchte, zu Kostensenkungen im öffentlichen Sektor zu führen. Das ist eine weit verbreitete Strategie in den Gesundheitssystemen der OECD-Welt und lässt sich theoretisch wie politisch auf Überlegungen aus dem Arsenal des New Public Management (NPM) zurückführen (vgl. Mosebach 2010: 8ff). Diese nicht nur in Deutschland zu beobachtende staatliche Strategie für den Gesundheitssektor bezeichne ich als wettbewerbsbasierte Kostendämpfungspolitik, weil sie das Ziel der Kostendämpfung im Gesundheitswesen mit den Mitteln eines politisch gelenkten Wettbewerbsmechanismus zu bereichern versucht, indem „die ökonomischen Handlungskalküle der Akteur zum Ansatzpunkt der politischen Steuerung des Gesundheitssystems“(Gerlinger/Mosebach 2009: 10) gemacht werden. Eine solche strategische Überlegung, die auch der in Deutschland gesundheitspolitisch hegemonialen Konzeption einer „solidarischen Wettbewerbsordnung“ nicht fremd ist, ist ohne weiteres vereinbar mit dem größeren Konzeptes des New Public Management.

„Im Zentrum der Überlegungen des NPM-Diskurses steht die Annahme, dass die Etablierung von Wettbewerb und (Quasi-) Märkten in Bereichen der (bislang) kommunal/staatlich erbrachten öffentlichen Dienstleistungen zu mehr Effizienz, Effektivität und Sparsamkeit führt“ (Mosebach 2010: 11). Zwar können die Überlegungen, die im Umfeld des gewerkschaftsnahen Forschungsprojekts zur „Modernisierung des öffentlichen Sektors“ konzeptionell-normativ mit einem kruden Neoliberalismus gleichgesetzt werden, wie Michael Wendl zurecht in einer Fußnote konstatiert (Wendl 2013: Fn1). Allerdings handelt es sich bei diesem Forschungszusammenhang vor allem um präskriptive, d.h. auf die Politikberatung ausgerichtete Modernisierungskonzeptionen für den öffentlichen Sektor und nicht um die Beschreibung oder gar Erklärung realgesellschaftliche Prozesse.

Zudem können solche Reformüberlegungen nicht im luftleeren Raum umgesetzt werden, denn „sowohl der politische Diskurs als auch die regulatorische Umsetzung des Wandels der Staatlichkeit“ (Mosebach 2010: 10) findet „in einem polit-ökonomisch Kontext statt, der zentrale ‚neoliberale Bedingungen’ (Harvey 2005) enthält. Diese strukturieren politische Entscheidungen und übergreifende ökonomischer Prozesse, indem sie die Annahmen enthalten, dass erstens die Ausweitung der (fiskalisch nutzbaren) Staatshaushalte durch ökonomischen Globalisierungsprozessen begrenzt ist und zweitens privatkapitalistisch organisierte Unternehmen wesentlich effizienter und effektiver öffentlich finanzierte Dienstleistung bereitstellen können als staatliche Unternehmen. Die NPM-Reformbewegung akzeptiert allerdings, dass der Staat – trotz eines propagierten Rückzuges aus der direkten Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen – dennoch eine Rolle im Prozess der Reform des öffentlichen Sektors zu spielen hat: nämlich die des Regelsetzers oder Gewährleisters (Moran 2003; Pollitt/Bouckaert 2004; Pierson 2007; Schedler/Proeller 2007). Wenn daher das NPM-Reformkonzept über die falschen Dichotomien neoliberaler Theoriebildung hinausgeht und dadurch ein wesentlich ‚ realistisches’ Reformszenario zeichnet, bleibt es dennoch in den neoliberalen Kontextbedingungen gefangen beziehungsweise macht diese zu sein Praxisprämissen.“ (ebd.: 10f)

Im Hinblick auf den Krankenhausbereich gilt daher die Beobachtung von Michael Simon (2004: 151) immer noch als richtig, dass maßgebliche krankenhauspolitische Reformprozesse in den letzten 30 Jahren vor allem aus außergesundheitlichen, d.h. ökonomischen, Gründen (Stichwort: Kostendämpfung, Lohnnebenkosten) durchgeführt wurden. „Krankenhauspolitik des Bundes wird seit Jahrzehnten – mit Ausnahme einer kurzen Phase zwischen Ende der 1960 er und Mitte der 1970 er Jahre – für Ziele und Zwecke anderer Politikfelder instrumentalisiert. Im Vordergrund steht die GKV-Politik, die aber wiederum von wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen beherrscht wird (Senkung der Lohnkosten und Entlastung des Staatshaushalts).“1 Was somit an der derzeitigen krankenhauspolitischen Debatte im Forum Gewerkschaften irritiert, ist das Fehlen beziehungsweise Nichtberücksichtigen solcher überlagernder ökonomischer Gründe für krankenhauspolitische Schlüsselentscheidungen. Das mag damit zusammenhängen, dass die Kontrahenten in diesem Punkt einer Meinung sind. Realität stellt sich freilich nur als Totalität dar und kann nicht einfach nach Bedarf auf einzelne Instrumente, die man dann pro und contra diskutiert, reduziert werden. Zugespitzt formuliert ist es ausgesprochen ironisch, wenn ausgewiesene und mit guten Argumenten ausgestattete Kritiker des Lohnnebenkosten-Mythos wie Michael Wendl oder Hartmut Reiners offensichtlich eine wettbewerbsbasierte Kostendämpfungsstrategie im Krankenhaussektor verteidigen, die genau jene beiden politischen Ziele, die Michael Simon zurecht kritisch als maßgebliche Motivation zu zahllosen Krankenhausreformen ansieht, nämlich die Senkung der Lohnkosten und Entlastung des Staatshaushaltes, eindeutig neoliberale Zielsetzungen, zu erreichen versuchen. Ich habe in meinem Beitrag, den Michael Wendl sinnentstellend zitiert, darauf hinzuweisen versucht, dass die derzeitige wissenschaftliche Evidenz die (neoliberale) These nicht unterstützt, private Krankenhausunternehmen seien moderner, effizienter und qualitativ besser als ihre öffentlichen Konkurrenten. Nicht mehr, und nicht weniger.

Literatur:

Kühn, Hagen (2004): Die Ökonomisierungstendenz in der medizinischen Versorgung, in: Elsner, Gine/Gerlinger, Thomas/Stegmüller, Klaus (Hrsg./2004): Markt versus Solidarität. Gesundheitspolitik im deregulierten Kapitalismus, Hamburg, S. 25-41.

Mosebach, Kai (2010): Kommerzialisierung der deutschen Krankenhausversorgung? Auswirkungen von New Public Management und Managed Care unter neoliberalen Bedingungen. Diskussionspapier 2010-1 des Instituts für Medizinische Soziologie am Fachbereich Medizin der Goethe-Universität Frankfurt a.M., Frankfurt a.M.: URL: www.kgu.de/zgw/medsoz/Disk-Pap/Diskussionspapier2010-W.pdf.

Mosebach, Kai (2013a): Moderner – effizienter – besser? Begründungen, Dynamiken und Folgen der Krankenhaus-Privatisierung, in: Sozialismus 40(4), S. 41-47.

Mosebach, Kai (2013b): Privatisierung von Krankenhäusern in Deutschland: Eine gesundheitswissenschaftliche Analyse ihrer Ursachen, Dynamiken und Folgen, in: Peter Prenner (Hrsg.): Kommunaler Ausverkauf. Von der Privatisierung der Krise. Tagungsband der AK-Wien Fachtagung. Stadtpunkte 6, Wien, S. 49-72 [online verfügbar].

Wendl, Michael (2013): Klage über den Verlust eines fiktiven Paradieses. Eine Antwort auf die Kritik von Thomas Böhm, in: Sozialismus 40(4), S. 52-55.

Simon, Michael (2004): Krankenhauspolitik – ein historischer Bogen, in: Elsner, Gine/Gerlinger, Thomas/Stegmüller, Klaus (Hrsg./2004): Markt versus Solidarität. Gesundheitspolitik im deregulierten Kapitalismus, Hamburg, S. 150-162.

1 Zentrale Probleme der stationären Versorgung erkennt er in dem problematischen Chefarztsystem, dessen (fragwürdige) Abschaffung Michael Wendl den privaten Krankenhausketten zuweist, der starren berufsgruppenspezifische Versäulung und mangelnden Kooperation zwischen den Berufsgruppen, sozial ungleicher Verteilung von Behandlungsressourcen sowie verdeckter Rationierung und mangelnder Patienten- und Qualitätsorientierung (Simon 2004: 151). Dass dies privatwirtschaftliche Krankenhäuser alles geschafft haben sollen (wie Privatisierungsbefürworter glauben machen wollen), ohne den Charakter der Krankenhausversorgung insgesamt, d.h. auch die Verteilung und die Art der Krankenhausleistungen, die erbracht werden, verändern zu haben, versuche ich in meinem Beitrag zu hinterfragen (Mosebach 2013a,b).