Das analytische Konzept des Governance of Consumption zielt auf die Frage, wie die in einer kapitalistischen Arbeits- und Geldgesellschaft notwendigen materiellen Ressourcen zur Finanzierung von Gesundheitsdienstleistungen und -gütern, die – in der Regel – in der OECD-Welt von sog. Third-Party-Payern aufgebracht werden, organisiert sind. Dieses Analysekonzept umfasst zwei Aspekte. Erstens das in der Politischen Ökonomie sogenannte „Aufbringungsproblem“, welches auf die grundlegende Ausgestaltung der (kollektiven) Finanzierung von den entsprechenden Gütern und Dienstleistungen verweist. Etwas salopp formuliert ist hier die zentrale Frage gemeint, wie die volkswirtschaftliche Wertschöpfung (die durch die Güter und Dienstleistungen des Gesundheitssystems einem zirkulären Selbstverstärkungsprozess gleich selbst mitangetrieben wird) zur ebendiesen Finanzierung der Gesundheitsausgaben „angezapft“ wird. Es geht – in gesundheitsökonomischer Parlance – hier um das (kollektive) „Finanzierungsverfahren“ eines Gesundheitssystems, welches grundsätzlich über Steuern, Beiträge oder Versicherungsprämien möglich ist, in OECD-Staaten zumeist noch um einen geringen Anteil von sog. Out-of-pocket-Zahlungen für Zuzahlungen oder nicht kollektiv versicherte Leistungen (Leistungskorb) ergänzt (vgl. Hajen/Paetow/Schumacher 2013: 247). Neben diesem ersten Aspekt der Governance of Consumption, welcher an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben wurde, steht zweitens in diesem Subpolitikbereich des Health Care State die institutionelle und organisatorisch bewerkstelligte Allokation dieser aufgebrachten Mittel an die jeweiligen Leistungserbringer im Mittelpunkt der Betrachtung: mithin das sog. Vergütungssystem. Aus gesundheitsökonomischer Perspektive lässt sich die Bedeutung dieses Subsystems wie folgt beschreiben (ebd: 248):
„Das Vergütungssystem für Gesundheitsleistungen ist Teil der Informations- und Anreizstruktur eines Gesundheitssystems. Es steuert das Verhalten der Akteure auf der Angbotsseite und damit die Kosten und die Qualität der Versorgung. Unterschieden wird zwischen prospektiven (auf die Zukunft gerichtete) Vergütungssystemen, in denen die Preise oder die Budgets im Voraus festgelegt sind, und retrospektiven (auf die Vergangenheit gerichtete) Systemen, die auf dem Kostenerstattungsprinzip basieren. Retrospektive Vergütungssysteme gelten als Ausgaben fördernd, da keine Wirtschaftlichkeitsanreize bestehen.“
Dieser zweite Aspekt des Governance of Consumption steht hier im Mittelpunkt der Betrachtung; allerdings ist diese getrennte Darstellung analytischer Art, denn in der konkreten Wirklichkeit des deutschen (und nicht nur dieses) Gesundheitssystems sind beide Aspekte eng miteinander verbunden, insofern unterschiedliche Finanzierungssysteme verschiedene Vergütungssystem bevorzugen. In der konkreten Tätigkeit von Ärzt*inn*en und anderen Gesundheitsberufen führen sogar die unterschiedlichen Anreizstrukturen für ein und dieselbe bzw. ähnliche oder substitutive diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu unterschiedlichen ökonomischen Folgen. Empirische Untersuchungen aus der klinischen und pflegerischen Praxis zeigen, dass es nicht nur einen versicherenbezogenen Verschiebebahnhof zwischen den verschiedenen Sozialversicherungszweigen im deutschen Gesundheitssystem gibt, sondern dass auch hinsichtlich klinischer Abrechnungsentscheidungen gerade wegen dem gesundheitsökonomischen Grundproblem der angebotinduzierten Nachfrage zum Teil erhebliche „Gestaltungsspielräume“ zur „Optimierung“ oder „Maximierung“ von Einkommen bestehen. Diese sich im ethischen Graubereich bewegende Praxis latenter oder offen verfolgter Kommerzialisierung von Versorgungsentscheidungen ist durch den in praktisch allen europäischen OECD-Staaten zu beobachtenen gesundheitspolitischen Paradigmenwandel befördert und in der Folge der Implementierung wettbewerbsbasierter Kostendämpfungspolitik erst zu dem gesundheitspolitischen Problem der Zukunft geworden.
Die Vergütungssysteme in der (i) ambulanten, (ii) (teil-)stationären und (iii) transmuralen bzw. integrierten Krankenversorgung unterscheiden sich zum Teil erheblich voneinander. Bevor diese Unterschiede ausführlich beschrieben werden können, gilt es eine analytisch und empirisch sinnvolle Unterscheidung dieser nichtsdestotrotz häufig ineinander verwobenen Bereiche zu etablieren. Aus einer historischen Perspektive lässt sich die Differenzierung der drei Teilsektoren am Besten rekonstruieren, denn die gesundheitspolitische Förderung des dritten Teilsektors und die Überwindung von institutionellen und organisatorischen Hindernissen einer stärker integrierten Versorgung ist seit nunmehr vierzig Jahren steter Bestandteil groß angelegter Reformstrategien für die deutsche Gesundheits- und Krankenversorgung (–> Struktur und Entwicklung des deutschen Gesundheitssystems). Als ambulante bzw. (teil-)stationäre Krankenbehandlung gilt im Folgenden jede Leistung, deren Erbringung nicht unmittelbar auf einen intersektoralen bzw. integrierten Behandlungsablauf ausgerichtet ist bzw. diese Grenzen nicht überschreitet. Bei der ambulanten Krankenbehandlung handelt es sich folglich um ambulant durchgeführte hausärztlich, fachärztliche, zahnärztliche oder psychotherapeutische Leistungen. In analoger Weise sind (teil-)stationäre Krankenbehandlungen fachärztliche, zahnärztliche oder psychiatrische Leistungen, die unter ärztlicher Leitung in einer Einrichtung (mit Übernachtung) erbracht wurden. Während somit ambulante Krankenbehandlungen sehr wohl im Setting Krankenhaus erbracht werden können, dann aber eben nicht als stationäre Krankenbehandlung zu bezeichnen sind, lassen sich stationäre Krankenbehandlungen per definitionem nicht in einem ambulanten Setting durchführen. Integrierte Versorgungsformen sind folglich all jene institutionell-organisatorischen Formen der Krankenbehandlung, die auf eine (von wem auch immer) gesteuerte intersektorale Krankenbehandlung abzielen. Diese kann sowohl von sog. Kostenträgern (d.h. Krankenkassen) als auch von Leistungsanbietern (z.B. Hausärzten oder Krankenhäusern) initiiert und organisiert werden (siehe hierfür: Amelung 2012).