Das überragende gesundheitspolitische Ziel ist ‚die Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung durch die Vermeidung von Krankheit und vorzeitigen Tod sowie durch die Vermeidung oder Verringerung krankheitsbedingter Einschränkungen der Lebensqualität und des vorzeitigen Todes.‘ (Rosenbrock/Gerlinger 2014: 15). Diese normative gesundheitspolitische Zielsetzung setzt voraus, Bestimmungsfaktoren und Bedingungen der Entstehung und Durchführung von Gesundheitspolitik zu verstehen, damit zielgerecht und erfolgreich interveniert werden kann (–> solidarische Gesundheitspolitik). Gesundheitspolitik hat dabei kurz-, mittel- und langfristige Effekte auf die institutionelle und organisatorische Ausgestaltung der vier Funktionsbereiche jedes Gesundheitssystems: (i) Prävention/Gesundheitsförderung, (ii) Kuration, (iii) Pflege und (iv) Rehabilitation (vgl. DFG 1995).
Daher wird hier zunächst ein theoretischer Analyserahmen vorgestellt, der in der Vergleichenden Gesundheitspolitikforschung als ‚Politische Ökonomie des Gesundheitswesens bezeichnet wird (vgl. Moran 1999; Marmor/Freeman/Okma 2009: 19). Zentrales analytisches Konzept ist hierbei der Health Care State (HCS), dessen theoretisches Grundgerüst in einem ersten Schritt rekonstruiert und analytisch erweitert wird. Gerade um die institutionelle und organisatorische Veränderungsdynamik des HCS analytisch fassen zu können, ist es darüber hinaus notwendig, seine gesellschaftstheoretischen Grundlagen einer staatstheoretischen Reformulierung zu unterziehen. Ausgehend von dieser theoretisch-analytischer Rekonzeptualisierung der „Politischen Ökonomie des Gesundheitswesens“ wird im Folgenden die institutionelle und organisatorische Transformation ausgewählter OECD-Gesundheitssysteme skizziert, indem die Wandlungen wohlfahrtsstaatlich geprägter Gesundheitssysteme in Richtung auf mehr von wettbewerbsstaatlichen Anforderungen im entstehenden globalen Kapitalismus geprägten Wettbewerbsregimés beschrieben werden. Die Auswahl der Länder ließ sich von dem Gedanken leiten, in welchen Ländern die Strategie der ‚wettbewerbsbasierten Kostendämpfungspolitik‚ am weitesten fortgeschritten bzw. am frühesten eingeführt wurde und welche vergleichbaren Nachzügler ihren ‚Vorbildern‘ am zügigsten folgten. Die Selektion fiel dabei auf folgende Länderpaare: England und Schweden, Niederlande und Deutschland, USA und Schweiz, Italien und Spanien sowie Kanada und Frankreich.
Dieser analytische Erklärungsansatz wird nachfolgend anhand einiger Fallstudien zu Kommerzialisierungsprozessen im deutschen Gesundheitssystem angewandt, die sich aus den institutionellen und organisatorischen Veränderungen im Übergang zum neoliberalen Globalkapitalismus ergeben. Kommerzialisierungsprozesse koexistieren dabei mit Ökonomisierungsprozessen, die weder aufeinander reduziert werden können noch unproblematisch miteinander verkoppelt sind. Der Übergang von notwendigen Ökonomisierungsprozessen von öffentlichen finanzierten Gesundheitssystemen in kapitalistischen Demokratien in eine offene oder verdeckte kommerzialisierte Gesundheits- und Krankenversorgung ist fließend und daher der genauen Kontrolle unterworfen (–> Kommerzialisierungsprozesse).