Die Lunte ist gezündet und nur noch wenig Zeit, sie auszupusten.

Der menschenverachtende Anschlag der Hamas am Sonntag, dem 07. Oktober 2023 (am Jahrestag des Beginns des Yom-Kippur-Kriegs 1973 !!), hat die Lunte am „Pulverfass“ des Nahes Ostens gezündet. Der Mord an über 1.000 Zivilisten und die Entführung und gedrohte Ermordung weiterer Menschen in Israel sind haarsträubend und verdienen das Etikett: Terrorismus. Doch jenseits – verständlicher, aber kaum rationaler – Rachebeschwörungen aus Israel und der bequemen moralischen Selbstversicherung des globalen Westens, an der „Seite Israels“ zu stehen,  sucht man vergeblich nach rationalen Ankern in diesen irrationalen Zeiten. Es beschleicht einen das unangenehme Gefühl, dass man es in der politischen Öffentlichkeit von liberalen Demokratien nur noch mit Zuspitzungen und kaum verhohlenen Gefühlsausbrüchen zu tun hat – in sog. failed states oder besetzten Gebieten weit weniger überraschend. In Rhetorik und Vehemenz zweifellos nicht vergleichbar mit den quasi-völkischen Hasstiraden von Hamas-Politikern, aber genauso inszeniert und scheinauthentisch erscheinen sie. Aber, ja, die Politiker:innen des globalen Westens können wieder die starke Frau und den starken Mann präsentieren und in den Medien punkten – nach innenpolitischen Fehden und Problemen mal wieder etwas Staatsrepräsentanz zeigen (und vermutlich: leben). „Israels Sicherheit ist Teil der deutschen Staatsräson“, so der Bundeskanzler. Es zeigt sich: die Außenpolitik bleibt die Prärogative des Staates und wirkt nach innen. Das Feindstrafrecht wird ausgepackt: wer die Hamas unterstützt, macht sich strafbar – die Generalklausel des ollen Carl Schmitt kehrt wieder (Neumann 1950).

Einfache Antworten auf komplexe Fragen in Zeiten des Neuen Kalten Krieges

Gut so? Doch was soll diese moralische und rhetorische Aufrüstung bewirken? Wer sich eingedenk der ermordeten Menschen in Israel an den Aktionen der Hamas erfreut, ist zweifellos ein Sympathisant. Und aus der Perspektive einer humanistischen Außen- und Sicherheitspolitik haben diese blindwütigen Unterstützer einer verabscheuenswürdigen terroristischen Aktion ihren Inhumanismus in vollster Vollendung bewiesen. Doch bleibt einem diese zutreffende ethische Einordnung ein wenig im Hals stecken, wenn die staatliche Verdammung und präventive Kriminalisierung der fehlgeleiteten Freude und unsäglichen Wut auf alles, was mit Israel zu tun hat, undifferenziert auf sprachliche Äußerungen übertragen wird, die (bloß) eine differenzierte Kritik der israelischen Regierungspraxis in diesem historischen Konflikt äußern wollen. Ist das nicht mehr möglich? Eine kritische Sicht auf eine noch nicht vor zu langer Zeit äußerst kritisch angeschaute Regierung unter „Bibi“ Netanjahu beizubehalten?

Ohne jeden Zweifel: wer das Existenzrechts Israels oder auch nur eines einzigen jüdischen Mitbürgers in Frage stellt, ist nicht nur ein politischer Extremist, sondern auch an einer Lösung des zugrundeliegenden Konfliktes nicht interessiert – dasselbe gilt aber auch in die andere Richtung, auch wenn es selten vor und noch weniger nach den Anschlägen der Hamas in unseren Breitengraden gehört wird. Die Zwei-Staaten-Lösung ist immer noch völkerrechtlicher Standard. Aber sie wackelt und wird vermutlich diese Eskalation nicht überleben; mehr noch: Netanjahu hat sie stets in Frage gestellt; nur noch China und Russland scheinen dieser Idee zu folgen, nachdem der Hasardeur Donald Trump Jerusalem in toto dem israelischen Staat zugeschlagen hatte – erinnert sich noch jemand an diese Provokation?

Handelt folglich jemand mit tödlicher Absicht gegen ihm verhasste Menschen, ist er zweifellos ein Mörder. Er verstößt außerdem gegen zahlreiche rechtsstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien, die geahndet werden müssen. Doch eine respektvoll und differenziert geäußerte Kritik an manchen Praktiken und Prinzipien von israelischen Regierungen (und ihren Unterstützer:innen im ‚Westen‘) vor und nach dem terroristischen Anschlag der Hamas muss möglich sein. In der derzeit heiß hoch gekochten Medienöffentlichkeit hat man jedoch den Eindruck, dass die „Reihen geschlossen werden“ – wieder einmal. Doch wie soll ohne abwägendes und damit auch stets kritisch-hinterfragendes Urteil über das Handeln der involiverten Akteure ein rationales Politik- und Konfliktmanagement in dieser Region noch realistisch funktionieren können? Insofern irritiert die moralische und rhetorische Aufrüstung einigermaßen und der Verdacht stellt sich ein, dass entweder stimmenmaximierende Symbolpolitik nach innen herrscht oder – noch schlimmer – weitere „Fässer Sprengpulver“ (um im Bild zu bleiben) in die Welt geliefert werden, um politisches und ökonomisches Kapital aus dieser Katastrophe zu ziehen. Dabei wird übersehen: die Lunte glimmt bereits deutlich und schickt sich an zum Sarajewo des 21. Jahrhunderts zu werden .

Die eskalierende Reaktion der israelischen Regierung auf die terroristischen Angriffe der Hamas ist jedoch nicht nur völlig überzogen und maßlos; sie widerspricht – selbst jetzt schon mit der Bombardierung ziviler Ziele –  jedem völkerrechtlichen Prinzip der Verhaltensmäßigkeit und des Schutzes der Zivilbevölkerung. Selbst wenn zugestanden wird, dass die Hamas die eigene Bevölkerung als „Schutzschild“ nimmt (was oft behauptet, aber nicht so oft belegt wird), ist das kein Freibrief für die weitgehend willkürlichen Bombardierungen von Gaza-Stadt (Nord) – und mittlerweile auch im Süden, wohin die Flüchtlinge aus Gaza-Nord doch gemäß des israelischen Militärs doch verschwinden sollen, wollen sie die geplante Bodenoffensive überleben. Offenbar will die israelische Regierung das Glimmen der Lunte anfachen; anders lässt sich ihre Überreaktion und der unbedingte Wille zur mangelnden Selbstreflexion kaum erklären; in den israelischen Medien sind – ebenso wie in Gaza und anderen eher palästinensischen Unterstützungsregionen – protofaschistische Vernichtungsphantasien und destruktive Wut auf die „Anderen“, „Gehassten“ zu besichtigen. Schauderhaft. Und prompt weg ist die einstige breite Koalition gegen Netanjahus geplanten Abbau des Rechtsstaates und damit eines zentralen Pfeilers der liberalen Demokratie. Nur noch vereinzelte Proteste ethisch bewunderswerter antizionistischer Gruppen von Menschen jüdischen Glaubens in Israel und anderswo zeigen, dass auch ein anderes Israel möglich und vorhanden ist. Ja, (expansionistischer) Zionismus und (politisches) Judentum sind nicht identisch! Die jüngsten Meldungen, dass in Israel nun sogar Personen festgenommen worden sind, die „den Feind“ unterstützen, gehen nahezu unter im medialen Kriegs- und Solidaritätsgetöse, ebenso wie die notwendige Frage nach dem cui bono? Wahrlich, schreckliche Zeiten.

Dass die USA, Europa oder andere nun versuchen, den israelischen Hardlinern mit ihrer „unbedingten Solidarität“ in den Arm zu fallen und Schlimmeres zu verhindern, mag glauben, wer will (Asseburg 2023). Doch der Arm des ‚Westens‘ reicht nicht so weit und seine Interessen sind nicht mit einer breiten Deeskalation vereinbar. Denn eine Kritik der derzeitigen (und erst recht der geplanten) israelischen Vergeltungsmaßnahmen, die – im worst case – einer ethnischen Säuberung des Gaza-Streifens gleichkommen könnten, würde eine Kooperation oder wenigstens Absprachen mit dem Iran oder sogar Russland und China verlangen; im Neuen Kalten Krieg undenkbar und – seien wir ehrlich – nicht gewollt! Die Zeit des Multilateralismus ist vorbei, auch wenn die Diplomatie die einzig realistische Chance auf eine Deeskalation ist. Dass die UN das noch versucht, ist wegen ihrer Aufgabe richtig und unterstützenswert, aber letztlich sägen die USA und ihre Vasallen am Ast, auf dem die UN sitzt, nämlich dem Völkerrecht. Dessen Büchse der Pandora wurde schon im völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Rest-Jugoslawien im Jahr 1999 geöffnet; von der NATO lernen, heißt siegen lernen, dachte wohl ein autokratischer Herrscher ein wenig weiter östlich, allerdings nicht ganz ungezwungen. Folglich: der UN-Sicherheitsrat ist aufgrund des Neuen Kalten Kriegs blockiert. Beste Bedingungen für die israelischen Hardliner das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Es ist daher Zeit, eine rationale Politikanalyse dieses Katastrophenfalls anzugehen, um einen Super-GAU atomaren Ausmaßes zu verhindern. Viel Zeit, die Lunte auszublasen, bleibt indes nicht mehr. 

Rationale Politikanalyse: jenseits von strafrechtlichen Verfahren und positivistischer „Faktenhuberei“ mit dem „Basta“-Prinzip

Die Grundvorausetzungen einer rationalen und realistischen Politikanalyse ist vor allem die Handlungen von Akteuren zu verstehen. Dieses „Verstehen“ bedeutet nicht, dass die in Frage stehenden Handlungen mit diesem Verstehensprozess auch als „legitim“ gekennzeichnet sind. Wer so denkt, zeigt nur, dass er einem zutiefst vulgär-positivistischen Weltbild verhaftet ist, in dem „Fakten“ einfach „Fakten“ sind. Basta. Zu verstehen ist als Ausgangspunkt in dem Prozess zu diesem katastrophalen Terroranschlag vor allem ein Aspekt:  was hat die Verantwortlichen in der Hamas dazu veranlasst, diesen Terrorangriff zu initieren. Jeder Gerichtsprozess versucht die Motive eines (des Mordes) Beschuldigten herauszufinden, sein Wissen und Gewissen zu befragen und dann zu einem Schluss zu kommen. Das enthebt die Person weder für die rechtliche Verantwortung für die Tat, aber macht den zugrundeliegenden (hier: individuellen) Entscheidungsprozess deutlich. Gibt es dritte Personen, Ereignisse oder Umstände, die diese Person in ihren Einschätzungen beeinflusst haben, so dass das strafrechtliche Maß reduziert werden kann? Oder populär: ihre Schuld? Natürlich haben polizeiliche (und wohl auch militärische) Kräfte jedes Recht, diesen laufenden Terrorangriff zu stoppen – auch mit Waffengewalt. Die Terrorhandlung rechtfertigt aber nicht jede (Gegen-)Reaktion. Hier müssen bürgerliche Grundrechte und internationales Völkerrecht respektiert werden, soll nicht auf eine unsägliche Tat eine weitere die Eskalationsdynamik anfachende Handlung folgen. Das (biblische) Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ war noch nie ein guter Ratgeber für kollektive Sicherheitspolitik, so verständlich ein solcher Rachedurst im Einzelfall auch sein mag. Fundamentalistische Religiöse neigen dazu: keine gute Prognose für die israelisch-palästinensische Konfliktentwicklung zur Zeit.

Jenseits dieser rein (straf-)rechtlichen Herangehensweise gibt es aber noch die – für die Prävention und Überwindung von solchen gewaltgebierenden Konflikten viel wichtigere – sozialwissenschaftliche Analyse der Wechselwirkungen von Kausalbedingungen und Handlungsstrategien. Denn – so die fundamentale Annahme – zu einem sich auch in terroristischen Taten und wechselseitiger Gewalt ausdrückendem Konflikt oder (Bürger-)Krieg gehören immer wenigstens zwei Parteien, d.h. Akteur(sgruppen), die sich feindlich gegenüberstehen. Die grundsätzliche Tragik in den internationalen Beziehungen besteht darin, dass beide Herangehensweisen, gerade auch im Hinblick auf die „Rechtfertigung“ der eigenen (Un-)Taten, unzulässigerweise miteinander verquickt werden. Politik (und auch Krieg, als die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, wie Clausewitz einst formulierte) ist eben keine neutrale Wissenschaft. Dennoch sollte eine rationale Politikanalyse sich nicht unreflektiert zum Büttel der einen oder anderen (Kriegs-)Partei machen. Gesinnungsethik mag gut für das eigene Gewissen und ggf. für die eigenen Interessen sein, deeskalierend wirkt sie nicht. Verantwortungsethik erfordert intellektuelle Neutralität und Distanz, ohne jedoch die Prinzipien der Aufklärung zu verraten und einen „ewigen Frieden“ (Kant) anzustreben.

Dass die terroristischen Handlungen der Hamas folglich straf- und ggf. auch völkerrechtlich geahndet werden müssen, ist die eine Seite. Werden aber die Bewohner des Gaza-Streifens nicht in toto zu den „Bösen“ erklärt oder gar in eine Kollektivschuld gebracht (es gibt leider in diese Richtung gehende beunruhigende Kennzeichnungen der Bewohner dieses Landstreifens als „menschliche Tiere“), so muss geklärt werden, warum die Hamas diese terroristischen Handlungen durchgeführt hat und was an ihren Argumenten falsch und richtig ist. Alles andere verdient nicht die Kennzeichnung einer rationalen Politik- und Kausalanalyse von sozialen Prozessen und Ereignissen (und Kriege und Terroranschläge sind soziale Ereignisse!), auch wenn diese (scheinbar) abstrakt-gefühllose Sprache vor dem Hintergrund der Ermordung unschuldiger Zivilisten in Israel (und mittlerweile auch im Gaza-Streifen) nur schwer auszuhalten ist. Wer sich jedoch den (impulsiv-unreflektierten) Gefühlen seiner selbst oder aber (s)einer Gruppe überlässt, ist nicht nur zu einer rationalen Politikanalyse unfähig, sondern eine Gefahr für sich selbst und seine Mitbürger:innen. So viel unreflektierten Romantizismus hat noch nicht einmal der der Romantik keineswegs abgeneigte US-amerikanische Psychoanalytiker und Sozialphilosoph  Erich Fromm bei seinen bekannten sozialpsychologischen Analysen des Nationalsozialismus und Kalten Krieges zugelassen (Fromm 1941; 1961).

Struktur und Handlung: der Ausgangspunkt einer rationalen Politik- und Kausalanalyse von (Bürger-)Kriegen und bewaffneten Konflikten

Menschen machen bekanntlich ihre Geschichte selbst, aber – so einst Karl Marx – „sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten [….] Umständen“ (1852, Absatz 2, zit.n. Martin Hollis 1995: 21). Doch was sind diese Umstände? Es sind – die Überschrift deutet es an – Strukturen, die Handlungen bedingen und rahmen. Der begriffliche Übergang von den Umständen zu den Strukturen verschiebt aber nur das Problem, das Martin Hollis mit dem Marx’schen Zitat anstößt. Nach seiner Auffassung ist Marx durchaus widersprüchlich, denn an anderer Stelle sind es v.a. die Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte, die die Entwicklung einer Gesellschaft (im Ganzen!) bestimmen; John Stuart Mill argumentiert ähnlich deterministisch (ebd.: 18-31). Doch das Problem ist nicht trivial, denn weder lässt sich Struktur auf Handlung reduzieren, noch anders herum. Handlungen können Strukturen reproduzieren (in der Regel machen sie das), aber sie können sie auch verändern, während umgekehrt daher Strukturen Handlungen niemals vollständig determinieren können. Struktur und Handlung sind also aufeinander bezogen, dennoch ist die – oft beschworene – Kontingenz des Handelns (alles könnte auch anders sein) mehr in der soziologischen Metatheorie als in der sozialen Realität beobachtbar (Giddens 1984; Jessop 2001; Nassehi 2011). Die moderne Gesellschaft neigt zu Schließungsprozessen, wusste schon Max Weber zu berichten. Eine Eskalationsdynamik ist der beste Weg, Entwicklungsmöglicheiten und Alternativen für lange Zeit zu schließen – Bürgerkriege sind dafür prädestiniert.

Das Problem von „Struktur und Handlung“ ist also sehr allgemein diskutierbar (ontologisch!), aber das ist hier nicht zielführend. Struktur und Handlung müssen vielmehr konkret auf das zu erklärende „Ereignis“ bezogen werden: und das ist bzw. sind (Bürger-)Kriege und Konflikte in den internationalen Beziehungen. Was also sind „Strukturen“ in den internationalen Beziehungen und welche Akteure sind wichtig und „handeln“? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Perspektive des gewählten theoretischen Analyserahmens ab. Es ist hier nicht möglich und nötig, die fünf zentralen Ansätze vorzustellen: Realismus, Idealismus, Marxismus,  Konstruktivismus und Poststrukturalismus (vgl. Baylis/Smith/Owens 2014: Teil II). Wichtig ist zu sehen, dass bei allen Unterschieden im Detail die Ansätze übereinstimmen, dass einerseits (i) der Staat, (ii) das Staatensystem und (iii) die Gesellschaft (Zivilgesellschaft, Wirtschaftsgesellschaft) die entscheidende Akteure sind und andererseits der historische Kontext politischer, ökonomischer und kultureller Interessen(skonflikte) stets eine Rolle spielt (historische Strukturen; hier folge ich der Globalen Politischen Ökonomie als einer theoretischen Erweiterung der klassischen Ansätze der Internationalen Beziehungen; vgl. Cohn 2016: Part II).

Die Ansätze unterscheiden sich vor allem darin, welchem Bereich sie die dominante Bedeutung für die Evolution des Weltsystems zuweisen, welche Vermittelungsinstanzen dazwischen wirken (Institutionen, Klassen, Staatsräson, Diskurse, Frames) und vor allem darin, was die sinnvollsten Strategien sind, Konflikte einzudämmen. Eine „Kriegswissenschaft“ sind die Internationalen Beziehungen (groß geschrieben: die Disziplin) in der Regel nicht, auch wenn analytisch betrachtet bei manchen Wissenschaftlern „Krieg die Fortsetzung der Poltik mit anderen Mitteln“ (Realismus und Clausewitz) ist. Ob diese – realistische – Beobachtung wünschenswert ist, bleibt außerhalb der wissenschaftlichen Analyse. Außenpolitiker und Sicherheitspolitiker agieren normativ und strategisch an Interessen orientiert, die wissenschaftliche Politkanalyse arbeitet analytisch und reflektiert sich an diesen ab (Hollis/Smith 1991; List 1995; Czempiel 1999). Eine andere rationale Herangehensweise ist nicht möglich, außer die Wissenschaft macht sich zum Büttel politischer, ökonomischer oder kultureller Interessen – dann jedoch ist Not am Mann, denn eine entdifferenzierte Wissenschaft ist keine mehr, die ihren Namen verdienen würde, sondern nur noch eins: eine Ideologieproduzentin. Vor einer solchen Versuchung staatlich finanzierter (Auftrags-)Wissenschaft in politisch-ökonomischen Herrschaftssystemen hat bereits der französische Philosoph Louis Althusser vor nicht allzulanger Zeit gewarnt (neu aufgelegt: Althusser 2010). 

„Pulverfass“ Naher Osten und der israelisch-palästinensche Konflikt

Ein „Verstehen“ der (Terror-)Handlungen der Hamas ist folglich weder ohne den Kontext des internationalen Staatensystems noch ohne Reflexion auf politische, ökonomische und kulturelle Interessen verständlich, die sich historisch entfaltet haben und stets kontextualisiert werden müssen. Doch bevor die Rekonstruktion der Entscheidung der Hamas, Israel anzugreifen und die terroristischen Akte auszuführen, erfolgt, ist es unerlässlich, zumindest einen kurzen Überblick über die historische „Faktenlage“ der Entstehung und Entwicklung des israelisch-palästinensischen Konflikts einerseits und die Einbettung desselben in die sich verändernden Hegemonialsysteme des internationalen Staatensystems andererseits zu geben. Doch wo starten? Mit der Nakba des Jahres 1948 (Asseburg 2021) oder mit 100 Jahren Unterdrückung der arabischen Bewohnern Palästinas (Khalidi 2022), um die Komplexität des Nahost-Konflikt (Asseburg/Busse 2022) zu verstehen?

 

…wird fortgesetzt… (20.10.23)

Bildquelle: https://pixabay.com/photos/atomic-bomb-mushroom-cloud-explosion-1011738/

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